Aktuelles & Rechtstipps

ARBEITSrecht: Unternehmen sollen zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet werden

Kanzlei Blog • 13. März 2019

Zur Kontrolle der EU-rechtlichen Arbeitszeitregelungen sollen Unternehmen verpflichtet sein, die tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Dies vertritt der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vor dem EuGH - mit möglicherweise weitreichenden Folgen für Arbeitgeber.

Gefordert wir die genaue Protokollierung von Arbeits- und Pausenzeiten; Foto: Gerd Altmann; Mitgeteilt von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Steuerrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin J. Warm, Paderborn (www.warm-rechtsanwaelte.de)

Wie lange Arbeitnehmer täglich arbeiten dürfen und wann Ruhepausen gemacht werden müssen, regelt das deutsche Arbeitszeitgesetz. Auch das Unionsrecht, insbesondere die EU-Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG), macht Vorgaben zu Arbeitszeit, Ruhezeit oder der Leistung von Überstunden. Ziel ist der Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer. In einem Fall, den der nationale spanische Gerichtshof dem EuGH vorgelegt hat, fordert EU-Generalanwalt Pitruzzella, dass Unternehmen zur vollen Wirksamkeit des Unionsrechts verpflichtet sind, anhand von Arbeitszeiterfassungsystemen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu protokollieren. Das deutsche Arbeitszeitgesetz gibt Arbeitgebern nicht vor, die Arbeitszeit umfassend zu erfassen.

Der Fall: Generelle Verpflichtung für Arbeitgeber die Arbeitszeit aufzuzeichnen?

Im vorliegenden Fall klagten mehrere spanische Gewerkschaften vor dem nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional) gegen die Deutsche Bank SAE. Diese sei als Arbeitgeber nicht nur aufgrund nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch aufgrund der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus der EU-Richtlinie 2003/881 dazu verpflichtet, ein System im Unternehmen einzuführen, um die effektiv geleistete Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Das sei nötig, um die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit sowie monatlich geleistete Überstunden feststellen zu können. Der Arbeitgeber sah dafür keine Verpflichtung. Das spanische Recht sehe keine Pflicht des Arbeitgebers vor, die Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen.

Spanisches Gericht befragt EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Der oberste Gerichtshof Spaniens (Tribunal Supremo) war zuvor der Auffassung des Arbeitgebers gefolgt. Er entschied, dass keine generelle Verpflichtung für Arbeitgeber existiere, die ganze Arbeitszeit für „normale Arbeitnehmer“ zu erfassen. Dies habe der spanische Gesetzgeber gerade nur für Teilzeitbeschäftigte, mobile Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine und Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor vorgegeben. Das spanische Recht verpflichte den Arbeitgeber nur zur Führung einer Liste der geleisteten Überstunden und zur Mitteilung der Zahl der gegebenenfalls von den Arbeitnehmern geleisteten Stunden am Ende jedes Monats an ihre Gewerkschaftsvertreter. Die Audiencia Nacional äußerte Zweifel an der Vereinbarkeit der spanischen Rechtsvorschriften in der Auslegung durch das Tribunal Supremo mit dem Unionsrecht und legte den Fall dem EuGH vor.

Generalanwalt: Unternehmen brauchen Systeme zur Messung der effektiven Arbeitszeit

In dieser Sache hat der Generalanwalt nun seine Schlussanträge gehalten. Er stellte fest, dass aus seiner Sicht, Unternehmen verpflichtet sind, ein System zur Messung der Arbeitszeit zu führen. Im konkreten Fall für „Vollzeitarbeitnehmer, die sich nicht ausdrücklich individuell oder kollektiv zur Ableistung von Überstunden verpflichtet hätten und die keine mobilen Arbeitnehmer, Arbeitnehmer in der Handelsmarine oder Arbeitnehmer im Eisenbahnsektor seien“. Dies sei erforderlich, um überprüfen zu können, dass Arbeitnehmer ihre EU-verbrieften Rechte auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten auch tatsächlich wahrnehmen können.

Verstöße gegen die Arbeitszeitvorschriften: System zur Kontrolle nötig

Der Generalanwalt betonte, dass ohne ein solches System weder der Umfang der tatsächlich geleisteten Arbeit und die Lage der Arbeitszeiten objektiv und sicher festgestellt werden könne, noch zwischen Regelarbeitszeit und Überstunden unterschieden werden könne. Ohne ein System fehle es an Möglichkeiten für die für Sicherheit am Arbeitsplatz zuständige Behörde, Verstöße festzustellen. Auch erschwere es Arbeitnehmern den Nachweis eventueller Verstöße vor Gericht.

Mitgliedsstaaten müssen Arbeitszeitrichtlinie effektiv umsetzen

Der Generalanwalt Pitruzzella hat daher dem EuGH vorgeschlagen, festzustellen, dass Unternehmen verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der täglichen effektiven Arbeitszeit einzuführen. Dies folge aus der Richtlinie 2003/88 und der EU-Grundrechtscharta. Den Mitgliedstaaten stehe es frei, die Formen und Wege der Umsetzung dieser Verpflichtung zu bestimmen. Nationale Rechtsvorschriften müssten jedenfalls durch das nationale Gericht unionskonform ausgelegt werden, andernfalls unangewendet bleiben. Das Gericht müsse sich dann vergewissern, dass die Verpflichtung des Unternehmens, sich mit einem zur Messung der effektiven Arbeitszeit geeigneten System auszustatten, eingehalten wurde.

Schlussanträge für EuGH nicht bindend

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. Oftmals folgt der Gerichtshof aber dem Entscheidungsvorschlag. Wie das spanische Arbeitsrecht gibt auch das deutsche Arbeitszeitgesetz dem Arbeitgeber generell nicht vor, die Arbeitszeit umfassend zu erfassen. Nur die Überschreitungen der üblichen Arbeitszeit müssen gemäß § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vom Arbeitgeber dokumentiert werden.

Hinweis: Schlussanträge des Generalanwalts vom 31.1.2019 vor dem EuGH in der Rechtssache C-55/18 CCOO / Deutsche Bank SAE


Quelle: haufe.de

Den Originalbeitrag finden Sie hier


Mitgeteilt von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Steuerrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Martin J. Warm , Paderborn ( www.warm-rechtsanwaelte.de )




von Kanzlei Blog 29. Januar 2025
Auch wenn ein Flug nach vorheriger Annullierung mit einem Gutschein gebucht wurde, sind Passagiere nicht verpflichtet, bei einer erneuten Annullierung erneut einen Gutschein zu akzeptieren. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte dies in einer aktuellen Entscheidung und sah in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Fluggesellschaft einen Verstoß gegen die Fluggastrechteverordnung.
von Kanzlei Blog 22. Januar 2025
Die Haftung für Schäden durch einen sich entzündenden E-Bike-Akku hängt von der rechtlichen Einordnung des E-Bikes ab. Entscheidend ist, ob das E-Bike als Kraftfahrzeug im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gilt oder nicht. Diese Abgrenzung richtet sich vor allem nach der Leistungsstärke des Fahrzeugs. 
von Martin Warm 2. Januar 2025
Die Versetzung von Arbeitnehmern ins Ausland ist ein Thema, das durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30.11.2022 (Az. 5 AZR 336/21) an Bedeutung gewonnen hat. In diesem Urteil wurde klargestellt, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers gemäß § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) grundsätzlich auch die Möglichkeit umfasst, Arbeitnehmer an ausländische Arbeitsorte zu versetzen – sofern der Arbeitsvertrag keine anderslautende Regelung enthält.  Im konkreten Fall durfte die Fluggesellschaft Ryanair einen Piloten vom Standort Nürnberg nach Bologna, Italien, versetzen.
von Kanzlei Blog 4. Dezember 2024
Wenn ein Flug aufgrund von organisatorischen Problemen der Airline nicht angetreten werden kann, haben Passagiere unter Umständen Anspruch auf eine Entschädigung. Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass ein Fluggast, der trotz rechtzeitigem Erscheinen am Check-in-Schalter Anspruch auf eine Ausgleichszahlung sowie die Erstattung des Ticketpreises hat, wenn er unverschuldet danach den Flug verpasst (AG Frankfurt a.M., Urteil vom 25.10.2024 - 29 C 4052/22).
von Kanzlei Blog 31. Oktober 2024
Am Ende dieses Monats verabschieden wir uns von unserer geschätzten Mitarbeiterin Kirsten Gäbler, die in ihrer Zeit bei uns eine wichtige Rolle gespielt hat. Sie begann ihre Tätigkeit in unserer Kanzlei zunächst im Bereich Empfang und Teamassistenz. In ihrer Funktion als Verbindung zwischen Sekretariat und Fachbereich sorgte Frau Gäbler im weiteren Verlauf ihrer Tätigkeit in unserer Kanzlei als juristische Assistenz für die Kommunikation und effizienten Bearbeitung unserer Mandate.
von Kanzlei Blog 27. Oktober 2024
Die Entscheidung, ein Erbe auszuschlagen, sollte wohlüberlegt sein. Ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Beschluss vom 24.07.2024 - 21 W 146/23, unanfechtbar) zeigt, dass die Anfechtung einer Ausschlagungserklärung zwar möglich ist, aber nur unter strengen Bedingungen. Eine Frau schlug nach dem Tod ihrer Mutter zunächst das Erbe aus. Hintergrund waren die schwierigen Lebensverhältnisse der Mutter, mit der sie seit ihrem elften Lebensjahr keinen Kontakt mehr hatte. Aufgrund der Alkoholkrankheit der Mutter und der Berichte einer Kriminalbeamtin über den chaotischen Zustand der Wohnung im Bahnhofsviertel, nahm die Tochter an, dass der Nachlass überschuldet sei. Erst viele Monate später erfuhr sie durch den Nachlasspfleger, dass ihre Mutter über ein erhebliches Kontoguthaben im oberen fünfstelligen Bereich verfügte. Daraufhin hat die Tochter die Ausschlagung angefochten und beantragte einen Erbschein als Alleinerbin. Das Nachlassgericht wies den Antrag jedoch ab. Die Anfechtung sei unwirksam, da die Tochter sich nicht ausreichend über den Nachlass informiert habe. Anders entschied das OLG Frankfurt am Main. Es bejahte die Anfechtung der Erbausschlagung (Beschluss vom 24.07.2024 - 21 W 146/23). Die Tochter konnte das Erbe somit annehmen.
von Kanzlei Blog 7. Oktober 2024
Die Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln für Fortbildungskosten ist ein häufiger Streitpunkt im Arbeitsrecht. Mit seinem Urteil vom 25.04.2023 (Az. 9 AZR 187/22) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass diese Klauseln einer AGB-Kontrolle unterliegen. Dabei sind präzise Formulierungen und eine faire Abwägung von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen unerlässlich. In diesem Blogbeitrag erfahren Sie, welche Anforderungen das BAG an Rückzahlungsklauseln stellt und wie Sie rechtssichere Regelungen gestalten können.
von Kanzlei Blog 27. September 2024
Die Errichtung eines Testaments ist ein bedeutender Schritt, der gut durchdacht sein sollte. Doch was passiert, wenn ein Testament unter außergewöhnlichen Umständen, etwa auf der Intensivstation, verfasst wird und sich im Anschluss die potentiellen Erben streiten? Ein aktueller Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 13.06.2024 (Az.: 10 W 3/23) beleuchtet die rechtlichen Herausforderungen in solchen Situationen.
von Kanzlei Blog 9. August 2024
In einem aktuellen Urteil hat das Oberlandesgericht Brandenburg (Urteil vom 16.07.2024 - 7 U 133/23) klargestellt, dass einem Verbraucher auch dann ein Widerrufsrecht zusteht, wenn er ein Notebook mit einer individuellen Konfiguration aus vorgegebenen Standardoptionen bestellt. Dieses Urteil ist von Bedeutung für alle, die elektronische Geräte online erwerben und diese an ihre Bedürfnisse anpassen möchten.
von Kanzlei Blog 29. Juli 2024
Wenn Sie eine Pauschalreise buchen und dabei von Flugverspätungen oder -ausfällen betroffen sind, stehen Ihnen möglicherweise Ansprüche auf Ausgleichszahlungen zu. Eine wichtige Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt hierzu klar, dass für diese Ansprüche die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren gilt, und nicht die kürzere zweijährige Frist, die oft bei Pauschalreisen Anwendung findet (Urteil vom 04.06.2024 - X ZR 62/23). 
Weitere Beiträge
Share by: